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6.6.1896, Simplicissimus, 1. Jahrgang Heft Nr. 10, Seite 2

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Terzinen

Selbstvergötterung

So heilig dünkt mich jene keusche Rose,
Voll träumerischen Reizes in die Luft
Der Juninacht getaucht, daß ich die bloße
 

Vernunft vergesse, ganz berauscht von Duft
In beide Kniee sink', ein Bild anbetend,
Das erst mein inneres Aug' ins Leben ruft.
 

So daß ich lach' und wein', in Stolz errötend,
Vor diesem großen Leid und großen Wehe
In einer Dichtung leidenschaftlich redend.
 

Die Rhythmen strömen hin und ich verstehe,
Daß sie den Schöpfer selber nun bestricken,
Und mir wird klar, indes ich träumend spähe,
Daß Schmerzen sind, die heilen und beglücken.
 

Andere Götter

Wie einer geht, das Eden aufzusuchen,
forsch' ich nach einem Gott, der groß genug ist,
Daß er nicht schreit nach einem Opferkuchen.
 

Doch ist es klar, wer strebsam und wer klug ist,
Der flieht entsetzt die herrliche Bekehrung
Vom neuen Gott, der nimmer Selbstbetrug ist.
 

Wie dürst' ich doch so glühend nach Verehrung!
Wie bet' ich an das Unbegriff'ne Große:
Die Reinheit und die irdische Lustentbehrung!
 

Wohl dem, der endlich Ruhe fand im Schoße
Der Einsamkeit und seine inn're Flamme
Lächelnd vergehn läßt, ohne Lärm und Pose.
 

Ich bin von jenem vielberuf'nen Stamme,
Des Glieder sind aus Rot und Feu'r geschmiedet;
Und alle, alle sterben wir im Schlamme.
O Wurm, der über Gottgedanken brütet!