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11.4.1896, Simplicissimus, 1. Jahrgang Heft Nr. 2 , Seite 5

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Der liebe Gott hat viele, viele kleine Engel in seinem Vermögen, wie jedes Kind weiß. Bei Tag fliegen sie in Scharen durch die Unendlichkeit des Weltalls. Manche benutzen die Planeten als Kähne und manche liegen faullenzend in versteckten, märchenhaften Winkeln und komponieren Sphärenmusik. Bei Nacht aber gehen die Engel zur Ruh': und weil im Himmel nicht Raum genug ist für die gewaltige Heerschar, hat ihnen der liebe Gott die Sterne als Lagerstatt angewiesen: die kleinen Engel kommen auf die kleinen und die großen Engel auf die großen Sterne. Als nun einmal wieder großes Gutenachtwünschen beim lieben Gott war, erhielt ein ganz winziger Engel, namens Germanius, den Planeten Terra als Bettstatt. Germanius war plump und unbeholfen, aber er hatte einen erfinderischen Kopf, und seine Mutter war eine Gräfin gewesen. Anfangs, als er sich quer über den Erdteil Europa zur Ruhe niedergelegt hatte, fühlte er sich sehr behaglich. Bald aber kitzelten ihn die böhmischen Nadelwälder an der Schulter, und seine linke Ferse wurde naß im Genfer See. Da legte er sich auf den Bauch. Doch alsbald empfand er einen Schmerz in der Gegend des Nabels und das kam daher, weil er sich an der Kuppel des erzbischöflichen Palastes gestochen hatte. Da sagte Gerinanius: Nur die Finsternis ist daran Schuld. Und er flog zur Sonne und versetzte im Vorbeiweg der Venus einen Fußtritt. Liebe Sonne, bat er, gieb mir ein Nachtlicht. Es ist so finster auf der Erde. Die Sonne lächelte freundlich und gab ihm ein Nachtlicht. Schönen Dank, sagte der Kleine, und flog auf seine Lagerstatt zurück. Siehe, das Licht leuchtete gar köstlich und verbreitete einen blendenden Schein, so daß Germanius vor Freude gar nicht einschlafen konnte.

Da kamen durch den Nebelflor der tiefen, stillen Nacht zwei einsame, dumme Teufel daher, die sahen aus wie fliegende Hunde, so abscheulich waren sie. Es waren Leibgardisten des großen oder Hauptteufels, und das ist der Allerdümmste. Die zwei thaten sehr heimlich, denn sie hatten den Zylinderhut des lieben Gottes gestohlen, damit der liebe Gott morgen nicht in die Kirche gehen könne. Morgen war nämlich Sonntag im Universum. Und obendrein hatten sie sogar ihre eigene Visitenkarte in den Hut gesteckt. Die zwei Teufel wollten zu ihrem Onkel gehen, der in einem Kellerloch gleich neben dem Sirius wohnte, als sie das schöne, strahlende Licht erblickten. Da wurde ihre Seele von Neid und Eifersucht erfüllt. Sie nahmen hurtig den Zylinderhut des lieben Gottes, stülpten ihn über das Licht, und dann setzten sie sich darauf und grinsten stumpfsinnig und zufrieden in den weiten Weltraum hinein. Der kleine Engel aber weinte so sehr, daß der Stern Aldebaran vier Tage Regenwetter hatte.

Doch auf einmal heulten die beiden Teufel ganz gräßlich. Eine blendende Lichtflut erfüllte die Sternenwelt. Das Feuer war durch den Zylinder geschlagen, und die beiden Teufel fuhren winselnd davon. Ganz draußen, am äußersten Ende der Milchstraße, mußten sie Nachtquartier nehmen. Aber sie konnten wirklich nicht schlafen, denn ihr Hinterteil war ganz geröstet. So hatte das Licht des Germanius über die Dummheit und Böswilligkeit gesiegt Der Zylinder des lieben Gottes jedoch war ruiniert.