Der niegeküßte Mund

Novelle entstanden 1900
veröffentlicht:
Zeitschriften 1900, Novellenband mit Hilperich
Albert Langen Verlag München 1903, S. Fischer Verlag Berlin Erweiterte Neuausgabe 1911


Zusammenfassung

"Die gediegene Novelle Der niegeküßte Mund spielt in der mittelfränkischen Altmühlstadt Gunzenhausen, die Wassermann seit seiner Kindheit in guter Erinnerung behielt. Im Mittelpunkt der Handlung steht auch hier ein Sonderling. In dieser Erzählung ist es ein Schulmeister, der seinen Lebensinhalt weitgehend aus verstaubten weltgeschichtlichen Folianten bezieht und der den sprechenden Namen Unruh trägt. Diesem wirklichkeitsfernen Bibliomanen gerät die Lebensordnung durch den zeitweiligen Verlust seiner Bücher und durch den Gunzenhauser Auftritt einer jungen Schauspielerin (Myra) jählings ins Wanken. Das Erscheinen dieses mignonhaften Mädchens, dem - niegeküßt - ein früher Tod beschieden ist, gewährt dem lebensfremden Lehrer erstmals einen Einblick in die gegenwärtige Wirklichkeit, außerhalb der Bücher. Er gewinnt Einsicht in eigene, bislang ungeweckte Leidenschaften, aber auch in die Begierden und Torheiten der eitlen, allzumenschlichen (und von Wassermann mit spöttischem Humor dargestellten) Kleinstädter." Rudolf Koester


Text

Erstes Kapitel
 
Schon von ferne sieht mann den gelben, alten, fünfeckigen Turm mit seinem dunklen Ziegeldach, das einer Nachthaube gleicht. Er schließt eine breite, stille Strasse mit seltsam regelmäßigen Häusern ab, die sich wie Zierrat ausnehmen …